Antwort an Sabine Christiansen

Liebe Frau Christiansen,

natürlich haben Sie recht - aber man kann den Blickwinkel auch mal anders wählen. Weg vom Umfeld und den Herausforderungen der Globalisierung, hinein in die Herzen der Kinder. Denken Sie doch mal an sich selbst. Wie sind Sie geworden, was Sie heute, als eine sehr erfolgreiche Person sind? War es eher die Einsicht in die Notwendigkeit Ihr Leben den gesellschaftlichen Erfordernissen gemäß zu gestalten, oder war es nicht vielmehr ein innerer Drang der Sie so weit brachte?

Zwei Beispiele: Vor kurzem feierte Gert Westphal, der "Vorleser der Nation" seinen 80. Geburtstag. Von ihm weiß man, wie er wurde, was er heute ist. Er hatte das Glück, daß seine individuelle Begabung bereits vor der Schule erkannt und gefördert wurde. Sein Bruder bastelte ihm ein Holzmikrofon und so konnte er dann in aller Ruhe seine "Vorlesungen" halten.

Ein modernes Phänomen wundert die Pädagogen: Die autodidaktische Methode der Kinder, sich im Nu den Computer mit all seinen komplexen und multimedialen Optionen anzueignen, um dann als 17-jährige Firmenchefs, Homepages zu gestalten.

Hieraus ergibt sich die Frage: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit solche dynamischen Selbst-Lern-Prozesse stattfinden? Wie kann man ein Umfeld gestalten, in dem jeder optimal und individuell gefördert wird?

Manager des eigenen Know Hows gefällt mir sehr. Das deutet auf Eigeninitiative, Autonomie, Autarkie, letztlich auf die in jedem Menschen wohnende ganz persönliche Würde hin. Diese ist es, die ich bei jedem normalem Kind, bevor es "erzogen und gebildet" wird, feststelle: Eine natürliche Neugierde, alles anzufassen, alles alleine machen zu wollen, nach allem zu fragen, über interessante Phänomene zu staunen und nachzudenken, das Bestreben alles mal spielerisch auszuprobieren, zu beherrschen und zu gestalten.

Leider spielt dieser natürliche Entfaltungsdrang, der die Grundlage einer unverfälschten Menschwerdung und der gesunde Motor einer gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, bereits bei Erziehungsprozessen nicht die ihm angemessene Rolle und bei konventionellen Bildungsprozessen muß er zwecks reibungsloser Vermittlung fremd-gemanagtem Know Hows, strikt unterdrückt werden.

Obwohl ( ich lebe hier in Baden-Württemberg ) vorhin beide Spitzenkandidaten der Landtagswahl beim Thema Bildung im 3. TV-Programm behaupteten vom "Kind her zu denken", habe ich mich über solch kindliches Denken gewundert. Als ob es der größte Wunsch aller Kinder sei, daß die Schule möglichst ohne Ausfallzeiten zu funktionieren habe. Ich hatte als Kind ganz andere Hoffnungen...

Ich durfte, von meinen Eltern aus, meinen persönlichen Interessen und Liebhabereien nachgehen. Zeugnisse spielten bei der Anerkennung meiner Persönlichkeit keine Rolle. Ich hatte meine manchmal diffusen eigensinnigen Ziele, denen ich instinktiv folgte:

Es grüßt sie mit Bewunderung

Wolfgang Helmeth

Forum Bildung, 20.11.2000