Unternehmenskommunikation
Fernsehstrasse 1-4
8052 Zürich
Telefon +41 44 305 55 00
Fax +41 44 305 55 04
E-Mail unternehmenskommunikation@srf.ch
Internet www.medienportal.srf.ch
Datum 12. Oktober 2011
 

Folgende Medienmitteilung veröffentlicht SRF im Auftrag der CIVIS Medienstiftung, die Journalistinnen und Journalisten in Deutschland und Europa für die Themen Integration und kulturelle Vielfalt sensibilisieren will (www.civismedia.eu). Die CIVIS Dialoge 2011 in Basel veranstaltete die CIVIS Medienstiftung gemeinsam mit der Freudenberg Stiftung und der SRG SSR.

 

CIVIS Dialoge 2011: Wem gehört die Stadt? – Europas Metropolen suchen

den sozialen und kulturellen Ausgleich

Brennende Autos, geplünderte Geschäfte und Jugendliche auf den Barrikaden; solche Bilder kommen immer öfter aus den Grossstädten Europas. Nicht nur in London gab es in diesem Jahr Krawalle, sondern auch in den eigentlich «unverdächtigen» Schweizer Städten Zürich und Basel. Erik Bettermann, Intendant der Deutschen Welle, eröffnete die CIVIS Dialoge in Basel und wies auf die Aktualität des Themas hin. In den Metropolen prallen Wohlstand und Armut, Heimatgefühl und Migration besonders hart aufeinander. Viele Menschen können sich ein Leben hier inzwischen nicht mehr leisten. Gleichzeitig werden manche Städte der Migration nicht mehr Herr. Doch Integration in alle Richtungen ist für das Überleben der grossen urbanen Zentren unabdingbar. Bei den CIVIS Dialogen in Basel am 11. Oktober 2011 haben renommierte Städtegestalter ihre Ansätze skizziert.

Der Tagungsort war bewusst gewählt. Kaum eine Stadt gibt sich so international wie Basel. Rund ein Drittel der Bevölkerung stammt nicht von hier. Weltkonzerne wie Novartis fühlen sich hier wohl. Migration gebe es in dieser Stadt schon seit der Reformation, betonte der Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung, Thomas Kessler. Als Dreiländereck muss man sich hier bis heute mit fremden Menschen ständig auseinandersetzen. 65 000 Grenzgänger kommen derzeit aus Deutschland und Frankreich nach Basel. Insgesamt treffen 170 Nationen aufeinander. Guy Morin, Regierungspräsident des Kantons Basel-Stadt, sieht das als Chance und will deshalb auf jeden Fall die Tore offen halten. Er wehrt sich vehement gegen eine Begrenzung der Zuwanderung, wie sie in anderen Teilen der Schweiz gefordert werde. Ausländerfeindlichkeit soll in Basel keinen Boden finden. Die Offenheit soll auch die Fachkräfte und damit die internationalen Konzerne am Standort halten.

Das ist der wirtschaftliche Aspekt. Doch es gibt auch einen soziologischen Hintergrund. Städte sind ursprünglich einmal aus dem Bürgertum erwachsen und von ihm über Jahrhunderte hinweg getragen worden, wie der Generaldirektor der SRG SSR, Roger de Weck, in Erinnerung rief. Und diese Basis droht den Städten wegzubrechen, wenn sie sich 2

nicht mehr um die Menschen in ihrer Verschiedenheit kümmert. Die Gefahr: Metropolen verkommen zu reinen Finanzzentren oder Bürosiedlungen, in denen kaum mehr wirkliches Leben stattfindet. Um die Zentren vital zu halten, sind nach de Wecks Ansicht auch Medien nötig, die in der Stadtmitte ihren Sitz haben. Ziehen Rundfunkgesellschaften oder Verlagshäuser in die Peripherie, dann trägt auch das dazu bei, dass Städte ihre Legitimation verlieren.

Die Integrationsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Maria Böhmer, forderte in ihrer Grussbotschaft die Kommunen dazu auf, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Integration sei eine Chefaufgabe. Sie verlangt eine Willkommenskultur, damit Zuwanderer zu einem Motor für die Stadtentwicklung werden könnten. Wie aber soll nun eine Stadt aussehen, die dem gerecht wird? Der Architekt Vittorio M. Lampugnani sieht den Novartis-Campus in Basel, den er selbst mit konzipiert hat, als Zukunftsbeispiel. Der Konzern hat eine «Stadt in der Stadt» gebaut und sich dabei auch an den Plänen des antiken Roms orientiert. Ein extrem dichtes Netz von Strassen ermöglichte damals angeblich ungeplante Begegnungen. Auf diese Art könne auch heute noch etwas in Bewegung kommen, also Innovation stattfinden, glaubt Lampugnani.

Eine Nummer grösser ist das Projekt der Internationalen Bauausstellung Hamburg. In der Hansestadt sollte der lange vernachlässigte Stadtteil Wilhelmsburg saniert und aufgewertet werden. Bauaustellungsgeschäftsführer Uli Hellweg und sein Team haben zwei Hauptaufgaben für dieses Projekt und damit für gute Städteplanung insgesamt erkannt: die sozialen Integrationskräfte stärken und den Klimawandel in den Griff bekommen. Entlang dieser Grundansprüche wurde und wird bis 2013 konzipiert und gebaut. Die Bewohner des Stadtteils durften die Planung mitgestalten. Es ging auch darum, sozial benachteiligte Familien durch moderate Mieten im Viertel zu halten. Diesen Menschen sollte ihr Stadtteil auch weiterhin gehören. Ausserdem entstand eine neue Ästhetik. Häuser wurden etwa in künstlichen Seen auf Inseln gestellt, terrassenförmig angelegt und mit begrünten Dächern versehen. Ausserdem sollten sich die Gebäude künftig den Menschen anpassen können. Wenn etwa die Kinder erwachsen werden und den Haushalt verlassen, müssen sich Grundrisse leicht umgestalten lassen.

Städte sollen flexibel werden. Dabei gilt es auch psychologische Aspekte zu berücksichtigen. Der Bielefelder Professor für Konflikt- und Gewaltforschung, Andreas Zick, sieht Städteplanung unter dem Aspekt des Raumes. Räume sind das Produkt sozialer Prozesse, sie werden erlebt. Bestimmte Verhaltensweisen sind an bestimmte Räume gekoppelt. So fanden in Deutschland im Mittelalter Pogrome gegen Juden genau in jenen Teilen des Landes statt, die sich Jahrhunderte später als Hochburgen der NSDAP entpuppten. Dass es in manchen Räumen Traditionen der Gewalt gibt, stellt an die Städteplaner der Zukunft besondere Herausforderungen. Raum beeinflusst auch die Wahrnehmung von Menschen. Die Forderung des Psychologen: Schafft sichere Räume, offene Räume und Räume, in denen die Menschen den Eindruck haben, sie selbst kontrollieren zu können! Da umgekehrt Grenzen negativ wahrgenommen werden, müssen sich Planer zum Beispiel überlegen, was sie mit Bahngleisen anfangen, die mitten durch eine Stadt verlaufen. Alle Erkenntnisse sollten nun möglichst schnell in die Tat umgesetzt werden, denn, so Heinz Buschkowsky, Bürgermeister des Bezirksamtes Neukölln in Berlin: «Die Leute stimmen mit dem Möbelwagen ab.» Mobile Familien verlassen schlecht gestaltete Städte. Dabei wandert Kompetenz ab, und zurück bleibt eine soziale Brachlandschaft. Der Schaden, der entsteht, so eines der Ergebnisse der CIVIS Dialoge in Basel, ist immens. Um ein defavorisiertes Viertel wieder aufzupäppeln, seien 20 Jahre nötig.